Hoffnungslos
Warum ich die Hoffnung im Kampf gegen den Klimawandel verloren habe. Und fünf Erkenntnisse aus der Zeit danach.
Der Brunifirm in den schweizer Alpen: So sieht es aus, wenn ein Gletscher stirbt.
Vor einem Jahr habe ich die Hoffnung verloren.
Mein ganzes Leben lang sah ich die Menschheit wie andere ihren Fußballverein. Wir hatten nur ein Ziel: Gewinnen.
Unser Gegner: Der Klimawandel.
Verlieren war keine Option. Die absehbare Zerstörung, die Abermillionen Vertriebenen und Toten, die unzähligen Städte und Wälder und Inseln und Gletscher und Tierarten, die für immer verschwunden sein werden, sind ein zu hoher Preis. Außerdem ist es ungewiss, ob die Menschheit einen ungebremsten Klimawandel überhaupt überleben kann. (Hier ein kurzer, gut verständlicher Text zu dieser Frage und hier eine sehr gute, zugängliche Infografik über mögliche Zukünfte vom IPCC.)
Hättest du dich in Matrix für die rote oder die blaue Pille entschieden? Hättest du die gemütliche Illusion oder die schmerzhafte Wahrheit gewählt? Die Frage lässt sich auf den Klimawandel übertragen: Schluckst du die grüne Pille?
(Anmerkung des Redakteurs: Ich habe eine schwarzweiße Pille genommen. Der Untergang der Menschheit stört mich überhaupt nicht – wer sich in einer Mischung aus Trägheit, Hybris und Angst vor dem Unbekannten selbst zerstört, hat den finalen Darwin Award inklusive der Entfernung aus dem Genpool voll verdient. Andererseits mag ich Menschen, und ich wünsche insbesondere den Jüngsten, die noch nichts vergeigt haben, die einfach nur erben, was die vorherigen Generationen gegen die Wand gefahren haben, ein gutes Leben, wozu eben auch gehört, Kinder zu bekommen, in dem Wissen, dass auch sie ein gutes Leben haben werden, wozu ebenfalls gehört, Kinder zu bekommen… Und so weiter. Anders gesagt: Die Menschheit hat meiner Meinung nach den Untergang voll verdient, die Menschen dagegen auf keinen Fall.)
Ich stand nie vor dieser Entscheidung, bei mir war die grüne Pille im Babybrei. Meine Mutter ist Biologin und Ökologin. Sie hat den Klimawandel schon in den Neunzigern ernst genommen und ihr Wissen erfolgreich an ihre Kinder weiter gegeben. So konnte ich die Realität des Klimawandels im Gegensatz zu den meisten Menschen nie richtig verdrängen.
Es war mein natürlicher Auftrag, Wege zu finden, die Treibhausgasemissionen zu senken. Ich verfolgte die nationale und internationale Klimapolitik. Ich studierte Ingenieurswissenschaften, um vielleicht einen Beitrag zu einer technischen Lösung entwickeln zu können. Ich gestaltete mein eigenes Leben so ökologisch wie möglich, machte mich selbst zu einem Testlabor für eine nachhaltige Zukunft und versuchte, meinem Umfeld ein Vorbild zu sein. Ich ging in die Politik und später in die Medien in der Hoffnung, dass bessere Informationen das Team Menschheit auf den richtigen Kurs bringen würden.
Meist lief es nicht wirklich gut, aber ich hatte keine Wahl: Ich durfte nicht resignieren. Denn du kannst nicht gewinnen, wenn du nicht daran glaubst.
Also kultivierte ich Hoffnung. Ich suchte positive Geschichten von mutigen Aktivisten und findigen Unternehmerinnen, ließ mich vom rasanten Wachstum der erneuerbaren Energien hoch ziehen (und blendete aus, dass die fossilen Energien gleichzeitig ebenfalls weiter wuchsen), schaute nach Peking (unglaubliche Mengen erneuerbarer Energien) und Brüssel (European Green Deal) und sah in jeder Veggi-Wurst den Zipfel eines beginnenden Bewusstseinswandels.
(AdR: Ausgerechnet die Entwicklung der veganen Fleischalternativen gibt mir immer noch Hoffnung. Fleisch, insbesondere Rind, ist ein gigantisches Problem, und die Alternativen sind in den vergangenen zehn Jahren viel besser geworden! Falls du also mal vor langer Zeit vegane Wurst oder veganes Schnitzel probiert hat und seitdem nichts mehr davon wissen will – versuch es noch mal. Das ist mittlerweile alles viel, viel leckerer! )
Eine Zeit lang schien es bergauf zu gehen. Das Pariser-Klimaabkommen von 2015 war ein wichtiger Schritt. Und 2019, im großen Jahr von Fridays for Future, bekam die Hoffnung plötzlich viel Wind unter den Flügeln. Es schien, als wären nun viel mehr Menschen bereit für die grüne Pille – und die notwendigen Veränderungen.
Aber das hielt nicht lange. Es kam Corona, der Angriffskrieg Putins auf die Ukraine, die Inflation, der 7. Oktober und die Zerstörung Gazas, generative KI, das Erstarken der AfD, das Durchdrehen der Tech-Eliten und so weiter. Diese Themen wurden (verständlicherweise) so dringend, dass die breite Öffentlichkeit keine Zeit mehr hatte, sich auch noch mit der ökologischen Frage zu befassen.
Die Hoffnung wurde dünner, die notwendigen Emissions-Absenk-Pfade steiler. Offiziell hielten (und halten) die Staaten am 1,5-Grad-Ziel fest, aber kaum eine Klimaforscherin glaubt noch daran, dass es erreicht wird. Auch das 2-Grad-Ziel wird täglich unrealistischer und von vielen schon als gescheitert betrachtet.
Am Ende sind diese Grenzen ohnehin willkürlich. Grob lautet die entscheidende Frage: Schafft es die Menschheit, die CO2- und Methan-Emissionen (die zu einem großen Teil von furzenden Kühen stammen) in den nächsten paar Jahrzehnten in die Nähe von Null zu bewegen?
Dazu müsste die Anzahl von Öl- und Gas-Heizungen, Verbrenner-Autos, Kohle- und Gaskraftwerken und Flugreisen ebenfalls so grob Richtung Null gehen. Die Industrie müsste komplett transformiert oder geschrumpft werden. Die Landwirtschaft und die Ernährung müssten sich radikal von Fleisch und Milch auf pflanzliche Produkte entwickeln, und die frei gewordenen Flächen als Kohlenstoff-Senken aufgeforstet und der Natur überlassen werden.
Doch unser Wirtschaftssystem und der damit verbundene Lebensstil, der seit 200 Jahren auf fossilen Energien basiert, verändert sich nicht von alleine. Um die Trägheit der Gesellschaft und die Selbsterhaltungskraft der fossilen Eliten zu überwinden, braucht es engagierte, ausdauernde Mehrheiten für einen ökologischen Wandel. Und die rückten in immer weitere Ferne.
Vor eineinhalb Jahren habe ich noch in der Zeit darüber geschrieben, wie wir durch individuelle Entscheidungen einen ökologischen Kulturwandel anstoßen können: https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2024-01/individueller-klimaschutz-fliegen-fleisch-auto Viele liebten den Text. Er gab ihnen Hoffnung.
Ich selbst verbrauchte hingegen gerade meine letzten Reserven. Und vergangenen Sommer passierte das, was nie eine Option sein sollte: Ich verlor den Glauben, dass die Menschheit den Klimawandel in den Griff kriegt.
Ich gab meine Hoffnung auf.
Was folgte, war eine Mischung aus Depression und Befreiung.
Ich wollte darüber schreiben, aber meine damalige Redaktion des Vertrauens lehnte meinen Vorschlag ab: "Am ehesten sehe ich hier noch einen Text übers Aufgeben – aber das halte ich persönlich weder für besonders originell noch für eine besonders konstruktive Perspektive. Ich kann mir schon vorstellen, dass man Menschen damit in ihrer Resignation abholt – aber was soll das bringen?"
Ich akzeptierte das Nein. Vielleicht, dachte ich, ist es wirklich besser, wenn ich mit meiner Klima-Depression niemanden anstecke. Heute bin ich noch immer depressiv, finde es aber trotzddem wichtig, darüber zu reden. Hier sind fünf Erkenntnisse aus der Hoffnungslosigkeit:
1 – Ich fliege noch immer nicht in den Urlaub
Mein Freund Patrick fragte mich halb hoffnungsvoll, halb ängstlich: Wenn das stabile Klima ohnehin verloren ist, warum fliegst du dann nicht mit mir um die Welt?
Ich antworte: Die Zukunft ist ungewiss. Es können Dinge passieren, die ich mir nicht vorstellen kann. Ich will einer unerwartet positiven Entwicklung auf keinen Fall im Weg stehen. Und selbst wenn wir es nicht schaffen, die Erwärmung so zu begrenzen, dass das Klima einigermaßen stabil bleibt, macht doch jedes Zehntel Grad einen gigantischen Unterschied.
Zudem will ich mich nicht mitschuldig machen, selbst wenn es keinen großen Unterschied macht. Ein gutes Gewissen ist mehr Wert als schöne Reiseerlebnisse. Deshalb hat sich auch sonst nichts an meinen Werten geändert und der Konsequenz, mit der ich sie zu leben versuche.
2 – Ich bin entspannter
Da ich davon ausgehe, dass wir die globale Dekarbonisierung ohnehin nicht schnell genug hinbekommen, lassen mich klimapolitische Horrornachrichten eher kalt – ich bin nicht andauernd entsetzt oder empört. Und ich muss auch meine Hoffnung nicht mehr pflegen.
So habe ich mehr Aufmerksamkeit für andere Themen, die mir weniger hoffnungslos erscheinen, etwa den Kampf gegen Rechtsextremismus.
3 – Ich muss da durch
Die Alternative zu meiner Depression wäre Verdrängung. Was keine gute Alternative ist. Denn auf Dauer kann das nicht gut gehen. Zudem glaube ich an die Kraft der schonungslosen Wahrheit.
Vor einem Jahr hoffte ich auf den Effekt, der in fast jeder Heldengeschichte vorkommt: Erst wenn der Held am absolut hoffnungslosesten Punkt angekommen ist, tut sich der Weg zum Ziel auf. So betrachtet muss ich noch tiefer fallen.
(AdR: Hollywood hat uns so viel Schwachsinn ins Hirn geschaufelt: vor dem Tiefpunkt kann es nicht aufwärts gehen, irgendwo wartet die Liebe deines Lebens auf dich, alles ist irgendwie gefährlich oder kann es zumindest werden, was inbesondere für Leute gilt, die total harmlos aussehen – das sind alles Serienmörder. Hollywood geht gerade unter und ich finde es super.)
4 – Es gibt neue Perspektiven
Wie wir aktuell organisiert sind (Nationalstaaten, Kapitalismus, Social Media etc.), können wir den Klimawandel nicht besiegen. Andererseits können Menschen bekanntlich sehr viel mehr, als ihnen zugetraut wird. So wächst in mir im Moment eine neue Hoffnung: dass die Menschheit es schafft, unter ökologisch schlechteren Bedingungen ein besseres Leben zu haben.
Als ich die Infografik des IPCC erneut las, die ich am Anfang des Newsletters verlinkt habe, fiel mir etwas auf. Im besten der drei Szenarien steht für das Jahr 2100: “Dank Risiko-Management und Anpassung, bleibt das menschliche Wohlergehen ähnlich wie im Jahr 2020.” Im Vergleich zu den anderen Szenarien ist das gut, aber eigentlich wünsche ich mir für die Zukunft mehr als nur, dass alles so bleibt wie es ist.
In dem anderen verlinkten Text über den drohenden Umwelt-Kollaps gibt es ebenfalls eine bemerkenswerte Passage. Ganz am Schluss fragt der Journalist den Risiko-Forscher, ob wir uns angesichts der schrecklichen Aussichten die Zukunft wie bei Mad Max vorstellen müssen. Und der Forscher antwortet: „Ich halte das für unwahrscheinlich, aufgrund meiner Studien über frühere gesellschaftliche Zusammenbrüche glaube ich, dass es sogar gut möglich ist, dass pro-soziale demokratische Regierungsformen zunehmen werden.”
5 – Ich bin nicht alleine
Anfangs fühlte mich alleine. Auf der einen Seite stand eine Mehrheit, die die Klima-Problematik erfolgreich verdrängte. Und auf der anderen Seite eine Klima-Bewegung, die sich in eine dicke Schicht Zweckoptimismus eingemummt hatte.
Dann habe ich Menschen entdeckt, die am selben Punkt stehen wie ich. Falls ihr hier seid, lest mal die schonungslosen politischen Analysen des Klimaaktivisten Tadzio Müller. Oder was die kürzlich mit 96 Jahren verstorbene Joanna Macy über einen heilsamen Umgang mit schwierigen Emotionen im Kontext von Umweltzerstörung geschrieben hat. Und schreibt mir, bitte!
Wie seht ihr die Zukunft des Planeten? Habt ihr eure Hoffnung noch? Warum? Oder habt ihr sie schon lange verloren? Verdrängt ihr die Realität? Und wie fühlt sich das an?
(AdR: Clara ist gerade nicht nach Fun, und ich verstehe das sehr gut, aber andererseits denke ich auch, dass sie bei weitem nicht alleine ist mit diesem Gefühl, dass es im Gegenteil immer verbreiteter ist, was sich unter anderem in Musikvideos spiegelt. Es gibt gerade einen Trend zu nahezu beiläufig brutalen, klaustrophobischen Filmen mit hoffnungslos überforderten Protagonisten, die gut zur Hoffnungs- und Hilflosigkeit angesichts der aktuellen Situation passen. Du bist nicht alleine! Doechi erlebt es zuhause (Doechii - Anxiety (Official Video)), Ren im Pub nebenan (Ren - Vincent's Tale - Self Portrait) und Aphex Twin, der schon immer vor keinem Schrecken die Augen verschloss, überall:
Chill
Mein Vorschlag: Weniger scrollen, mehr lesen. Zum Beispiel, warum wir alle gerne spielen und warum wir mehr spielen sollten (nein, nicht weil das zu Innovationen und so zu mehr Profit führen kann – das ist kein Spielen!), warum die größte Stadt der Welt auch die fußgängerfreundlichste ist (siehe auch das Video im nächsten Punkt), wie in Wales die Sharing Economy ausgebaut wird oder warum wirklich niemand nach Dubai reisen sollte:
https://newleftreview.org/sidecar/posts/everything-else
Far Out
Die gute Nachricht zum Schluss: Es geht auch anders. Das folgende Video wird insbesondere zum Schluss etwas langatmig, aber das Projekt ist toll, und es zeigt, was geht, wenn es nur jemand will:




Liebe Clara
Selbstverständlich habe ich Deinen Text mit Interesse gelesen (wie immer). Dabei erinnere ich mich an unsere Gespräche zu diesem Thema, z.B. über meinen Pessimismus bezüglich der Chancen, die Klimakatastrophe zu stoppen.
Hier aber nur kurz zu einem Punkt: die furzenden Kühe. Methan ist ein hochwirksames den Klimawandel förderndes Gas, ohne Zweifel. Methan baut sich aber viel rascher ab als CO2. Nämlich in 15 Jahren. Das heisst aber auch, dass vom Kuhfurz von vor 15 Jahren nun nichts mehr in der Athmosphäre ist. Daraus folgt logischerweise, dass das Methan in mittlerer Frist nicht das Hauptproblem ist, sondern das CO2 und die durch den Flugverkehr produzierten Aerosole, deren Effekt gewaltig ist, aber (siehe Patricks Flugwunsch) viel zu wenig beachtet wird.
Nimmt die weltweite Rinderherde nicht zu, steigt der Methangehalt in der Athmosphäre nicht; nimmt die Zahl der Rinder ab, umso besser. Das kann z.B. auch dadurch erfolgen, dass man die Milchkühe länger leben lässt. Heute werden sie geschlachtet, wenn ihre Milchleistung zu sinken beginnt, weil sich dann der Kraftfuttereinsatz weniger lohnt. Insbesondere sollte durchgesetzt werden, dass ein Rinderbetrieb nur auf der eigenen Futterbasis wirtschaften darf; im Schnitt also kein Futter dazu kaufen darf, insbesondere kein Kraftfutter. Selbstverständlich werden Fleisch und Milchprodukte dadurch teurer. Das ist aber auch vernünftig.
Punkto Methan darfst Du also ein wenig entspannter sein. Ich freue mich darauf, dies mit Dir bei einem veganen Essen (oder gar bei einem leckeren Stück Biofleisch) weiter zu diskutieren.
hallihallo! ich steige vielleicht später noch in den dialog aber empfehle jetzt schon „wenn die hoffnung stirbt geht’s trotzdem weiter“ von jean peters! liebe grüße holala